Hier lasse ich euch ein wenig in mein zweites Buch schnuppern, das noch nicht erschienen ist. Bevor die Geschichte anfängt, sollt ihr hier erst einmal die wichtigsten Personen kennenlernen. Obwohl: „Personen“ stimmt nicht für alle. Naja, ihr werdet es gleich selbst sehen.
Auf Luwis Schulzeugnissen und in seinem Reisepass steht eigentlich Ludwig Traxner, aber kein Mensch nennt ihn so. Er ist immer noch der Luwi, obwohl er schon 11 Jahre alt ist. So hatte er sich selbst genannt, als er noch klein war und reden lernte. Der Name ist an ihm hängen geblieben und Luwi gefällt’s. In seiner Familie haben es viele mit Abkürzungen und Spitznamen. Luwi liest gern, mag ausgewählte Computerspiele und hat nichts gegen ein bisschen Styling. In der letzten Zeit hat er sogar ein wenig mit Haargel experimentiert. Ja und er liebt Fußball ausgesprochen, aber nur passiv. Das bedeutet, am liebsten mag er Fußball als Zuschauer im TV oder auf dem Fußballplatz. Am allerliebsten sieht Luwi zu, wenn Vicky mit ihrer Mannschaft, den „Wuchtelbienen“[1], spielt.
Vicky Wagner wohnt mit ihrem Familienanhang gleich nebenan. Vicky ist Luwis allerbester Freund, auch wenn sie eine Freundin ist. Normalerweise sind Buben und Mädchen im Alter von 11 Jahren ja nicht besonders gut aufeinander zu sprechen. Bei Vicky und Luwi ist das anders. Denn sie kennen einander schon seit 10 von 11 Jahren. Damals, also vor 10 Jahren, zog Vicky mit ihren Eltern in die Nachbarswohnung ein. Luwis Mama Barbara und Vickys Mama Irene wurden sofort Freundinnen. So verbrachten die beiden gleichaltrigen Kinder schon als Winzlinge sehr viel Zeit miteinander, noch bevor sie richtig reden konnten. Vicky kann gar nicht oft genug auf die Wuchtelhauen. Sie mag schöne Kleider – wenn sie gerade Lust dazu hat. Aber mindestens genauso gern trägt sie Sporttrikots oder Trainingsanzüge. Bei der Hochzeit ihrer Tante haben die Eltern sie beknien müssen, doch bitte ausnahmsweise ein Kleid anzuziehen, auch wenn ihr gerade nicht danach wäre.
Einer ist noch sehr, sehr wichtig für die Geschichte – der Kater Weasley. Er ist fast ein Jahr alt. Seinen Namen hat der Kater von Luwis Mama. Sie ist nämlich ein riesengroßer Harry Potter-Fan. Und weil der Kater rot ist, mit weißem Bauch und weißen Beinen, nannte sie ihn so wie die rothaarige Familie von Ron Weasley, Harrys bestem Freund. „Daran erkennen wir bei unseren Gästen immer sofort, wer sich auskennt,“ kichert sie. Sie ist oft noch recht kindisch, aber im Großen und Ganzen ist Luwis Mama o.k. und er versteht sich gut mit ihr. Naja, das war zumindest so, bis der Kater plötzlich in ihrem Leben auftauchte. Seither könnte man glauben, der Kater ist der Mittelpunkt der Familie, der absolute King. Er selber sieht das auf jeden Fall so, da ist sich Luwi sicher. Wär´ ja auch kein Wunder, wenn man seinen Eltern so zuhört. „Schau doch Schatz, wie lieb er daliegt, er hat schon wieder die Pfote über die Augen gelegt!“ Etwas in der Art ruft Papa bestimmt dreimal täglich durch die Wohnung. Oder: „Weasley schöpft wieder sein Wasser aus dem Schüsselchen, schau, Luwi! Das hat er sich bei uns abgeschaut, wenn wir mit der Hand zum Glas greifen!“ Irgendwie becirct dieser Weasley alle, sogar Katzenfeinde wie die Oma. Bei so viel Verblendung rundherum muss man doch verzweifeln, oder?
So, jetzt springen wir gleich mitten in die Geschichte, los geht’s:
Am nächsten Tag haben sich Vicky und Luwi sicherheitshalber auf der Wiese neben dem Fußballkäfig im Park verabredet. Für den Fall, dass ihr Vater noch sauer sein sollte, man kann ja nicht wissen. Am Sonntag Nachmittag sitzt Herbert nämlich bestimmt vor dem Fernseher.
„Voll ungerecht“, platzt Luwi gleich als Erster heraus. „Jetzt habe ich endgültig die Nase voll. Zuerst das mit gestern Abend. Weil sie mit deinem Vater gestritten hat, war Mama total schlecht drauf. Am Ende war dann natürlich wieder ich der Depp gestern. Mich hat Mama angeschnauzt, und der Kater hat Streicheleinheiten bekommen“ bringt Luwi Vicky auf den neuesten Stand. „Das ist echt ungerecht!“, pflichtet ihm Vicky bei. „Ja, gell! Aber jetzt kommt es noch viel ärger! Heute Vormittag wollten meine Eltern gemeinsam einen Spaziergang machen. Ich hatte keine Lust dazu, weil Harry Potter gerade so spannend war. Also hab‘ ich es mir auf der Couch gemütlich gemacht. Eineinhalb Stunden später, als sie zurückgekommen sind, ist Mama ins Wohnzimmer gestampft, hat sich vor mir aufgebaut und mich angeschnauzt: ‘Wieso ist die Eingangstüre offen?‘ Darauf ich: ‚Keine Ahnung. Darauf ist sie säuselnd durch die Gegend gerannt und hat den Kater gesucht. Gefunden hat sie ihn aber in der ganzen Wohnung nicht. Wütend ist sie wieder zu mir zurück gestiefelt und hat mich angekeift: ‚Weasley ist nirgends, demnach muss er hinausgelaufen sein. Also noch einmal: Wieso hast du die Türe offengelassen?‘ Ihre Stimme ist da schon ein bisschen gekippt. Darauf wieder ich: ‚Habe ich nicht Mama, Ehrenwort! Ich habe mich seit zwei Stunden nicht von der Couch wegbewegt!‘ Da hat sie mich angeschrien ‚Luwi, du lügst, du hast einfach nicht aufgepasst. Wahrscheinlich warst du bei den Wagners drüben. Und jetzt bist du zu feig, das zuzugeben!‘ Dann hat sie sich umgedreht und ist aus der Wohnung in den Garten gegangen“, schnaubt Luwi. „Na und weiter?“ Vicky ist gespannt wie ein Hüpfgummi. „Ein paar Minuten später war sie mit Weasley wieder zurück. ‚Dein Glück‘ hat sie mich angezischt und seither kein Wort mehr mit mir geredet. Und Papa gleich dazu, obwohl ich beiden hoch und heilig geschworen hab‘, dass ich es nicht war.“
„Das ist wirklich saugemein“ stimmt Vicky ihm zu. „Schön langsam glaub‘ ich auch, dass der Kater bei euch der König ist. Ihn finden deine Eltern ja fast nie nervig. Nicht einmal, wenn er unbedingt jetzt und sofort Wasser aus dem Duschkopf trinken oder in den Garten strawanzen[1]gehen will. Oder, wenn er seine närrischen Minuten hat und einen von uns überfallsartig anspringt und in den Knöchel beißt.“ Das hat Vicky auch schon erlebt. Am liebsten tut Weasley das bei Luwis und Vickys Mamas, weil beide dann so schön kreischen. Er meint das aber nicht böse, es tut auch kaum weh, für ihn ist das wie ein Spiel. Bei Fremden ist Weasley allerdings sehr schüchtern und zurückhaltend, vor kleinen Kindern hat er sogar richtig Angst. Na ja, die quietschen ja auch oft und krabbeln oder laufen hinter ihm her. Berti war da auch kaum zu bremsen.
Luwi nickt: „Inzwischen ist mir das schon richtig peinlich, wie meine Eltern den Kater behandeln, sogar, wenn wir Besuch haben. Beim Essen sitzt Weasley auf seinem Sessel, den er sich natürlich selbst ausgesucht hat und wartet erauf kleine Leckerbissen und Kostproben. Besonders gern mag er ekelhaft stinkenden Käse.“ Luwi schüttelt sich vor Grausen. „Mageren Schinken, Wiener Schnitzel und Faschingskrapfen liebt er auch. Der Wolfi und der Attila haben es letztes Mal gar nicht gepackt, als sie nach der Schule zum Essen bei uns waren.“ Die Sache beim Frühstück wollte Luwi gar nicht erst erzählen. Da bekommt Weasley von Luwis Vater täglich eine Butterflocke „für die Fellpflege“,grinst sein Papa dann verlegen. Manchmal gibt es auch noch ein wenig Milchschaum aus dem Cafe Latte,und wenn die Familie einmal für ein Wochenende wegfährt, bekommt Weasley nach ihrer Rückkehr zum Trost einen Katzenstick. Das ist wie Cabernossi-Wurst für Katzen. Luwi hält das übrigens für Bestechung.
„Und wie ist es jetzt bei euch?“, will Vicky wissen. „Gar nicht ist es. Ich bin Türe knallend aus dem Haus gelaufen.“ „Das hat man sogar bei uns drüben gehört“ grinst Vicky, aber sie tätschelt Luwi trotzdem beruhigend am Arm. „Ganz eindeutig wird der Kater jedenfalls bevorzugt und auch viel, viel mehr verwöhnt als ich“, mault Luwi trotzig weiter. „Der schläft sogar bei meinen Eltern im Bett!“ Vicky kennt diese Klagen ihres Freundes schon länger.
Während sie ihm zuhört, hat sie auf einmal eine Eingebung und kneift ihre Augen zusammen. Das ist typisch bei Vicky, wenn sie scharf nachdenkt. „Irgendwie erinnert mich das an damals mit Berti und mir. Da war es ganz ähnlich. Vom dem Moment an, wo Berti da war, waren alle in ihn verschossen.“ Vicky nickt bei der Erinnerung vor sich hin. „Bei jeder Kleinigkeit, die er gelernt hat – das volle Tatütata. Als wäre es etwas Besonderes, dass ein Kind sitzen lernt oder mit dem Löffel essen. Von da an waren die Eltern auch viel strenger zu mir. ‚Du bist ja jetzt die Große’, hieß es dann. ‚Du musst jetzt ein Vorbild sein’, und so weiter.“ Vicky rollt genervt mit den Augen. „Na aber dafür hast du jetzt einen kleinen Bruder, das ist doch besser als eine Katze, oder? Den kannst du wenigstens einteilen, wenn du was brauchst. Oder vorschicken, wenn du was von euren Eltern willst!“ Luwi grinst und knufft Vicky liebevoll an der Schulter. Schließlich hat er selbst auch schon manchmal von diesen Berti-Diensten profitiert. „Das glaubst aber auch nur du!“, antwortet Vicky gar nicht amüsiert. „Wer muss ihn denn dauernd mitschleppen? Oder Rücksicht nehmen, weil es ständig heißt: ‚Dafür ist der Berti noch zu klein, da müssen wir noch ein, zwei Jahre warten.’ Zum Beispiel bei der Riesen-Wasserrutsche letztes Jahr in Italien. Nur wegen dem Zwerg sind wir nicht hingegangen. Weil Herr Berti ja dann heulen könnte, wenn ich rutschen darf und er nicht.“
„Hm, naja, ich weiß auch nicht, was da besser ist“, meint Luwi. „Wieso bist du eigentlich ein Einzelkind?“, will Vicky jetzt wissen. „Angeblich wollten meine Eltern immer nur ein Kind. Ich hab’ da ja auch gar nichts dagegen. Weil ich hab dich und meinen Cousin Frido, und in der Klasse sind ja auch ein paar ganz lustig.“ „Aha, na wahrscheinlich ist Weasley dann so etwas wie ein Ersatzkind für deine Eltern“, überlegt Vicky. „Kannst du recht haben“, nickt Luwi und macht ein verdrießliches Gesicht. „Und was willst jetzt tun?“, fragt Vicky. „Gar nix“, aber während Luwi das sagt, kommt ihm ein schräger Gedanke. Der ist ihm so unangenehm, dass er ihn lieber für sich behält. Weil er sich ein wenig dafür geniert und weil Wünsche, die man verrät, ganz oft nicht in Erfüllung gehen. ‚Ab sofort wünsche ich mir ganz fest, dass der Kater wieder aus meinem Leben verschwindet. Er könnte zum Beispiel auswandern auf eines der riesigen Grundstücke in der Nachbarschaft und sich dort eine neue Familie suchen. Ich hab ja nichts gegen ihn, aber dann werden meine Eltern sicher wieder normaler.’ Luwi nimmt sich insgeheim vor, ab sofort jeden Abend im Bett, vor dem Einschlafen, ganz fest daran zu denken. Er will sich das neue Leben ohne Katze genau vorstellen. Seine Tante Fini hat einmal erzählt, dass das bei ihr immer super funktionieren würde. Ihrer Meinung nach hatte sie sogar ihre tolle Wohnung so gefunden.
[1]Österreichisch für flanieren, spazieren
[1]„Wuchtel“ ist Österreichisch für Fußball
[2]„wurscht“ ist Österreichisch für piep-egal