Maxa – Was man von hier aus sieht
Eine ganz Menge sieht man von hier aus. Es ist mir noch gar nicht aufgefallen, wie viel, denn üblicherweise stelle ich mich nicht ans Fenster, um hinaus zu schauen. Dafür ist mir die Aussicht nicht schön genug. Obwohl die Fassaden noch so intakt sind, wie sie zur Gründerzeit errichtet wurden. Aber Schmuckstücke, wie zum Beispiel Jugendstilfassaden, sind sie nicht. Sie haben ein paar Vorsprünge zwischen den Stockwerken, ein paar Simse und Dächer über den Fenstern, hier und dort unvermittelt auftretende Schnörksel, die mich in ihrer Sinnlosigkeit an Stoffdeckerl über Marmeladeglasdeckeln erinnern.
Die Häuser vis-a-vis hatten ursprünglich drei Geschoße. Nachträglich wurden ihnen noch zwei-geschoßige Dachmaisonetten drauf gesetzt. In den Dachwohnungen ist immer jemand zu Hause, denn abends brennt Licht hinter den Dachschrägfenstern. In den anderen Stockwerken ist heute jeweils nur ein Zimmer erleuchtet. Es ist noch nicht so spät, dass alle schon schlafen würden. Vielleicht sind sie aus der Stadt geflüchtet, in der die Gesichtsmaskendichte zu hoch ist? Im Garten am Land braucht man keine Maske.
Was mir bis heute noch nie aufgefallen ist, ist ein absolut lächerlich kleiner Balkon in der Mitte der Bel Etage im Haus gegenüber. Er ist nur groß genug, um hinaustreten zu können, Innenmaß geschätzt ein Meter breit und ein halber Meter tief. Wer hat so etwas wohl bei einem Architekten bestellt? Und warum wurde es ausgeführt? Damit der Hausherr stehend die Straße überblicken kann?!
Irgendwann, von mir unbemerkt, wurde der Asphalt auf der Straßenseite gegenüber mit „Anwohnerparken“ gekennzeichnet. Und alle Anwohner, die derzeit hier parken, möchte ich nicht gerne persönlich kennen lernen. Besonders die beiden nicht, die vor und hinter dem Wagen genau gegenüber parken. Die müssen nach dem Wagen zwischen ihnen eingeparkt haben, denn der Eingequetschte hat jetzt nur mehr eine Handbreite vor und hinter seinen jeweiligen Stoßstangen Platz und ich wünsche mir für ihn, dass er nicht zeitig in der Früh als erster wegfahren muss. Soziale Kompetenz zeigt sich auch im Parkverhalten.
Ein junger Mann geht auf dem gegenüberliegenden Gehsteig die Gasse entlang. Er wirkt entspannt, sympathisch, soweit ich das auf diese Distanz erkennen kann. Als er außer Sichtweite ist, joggt ein anderer im schwarzen Trainingsanzug vorbei. Und parallel dazu kommt ein Fahrradfahrer aus der gleichen Richtung. Der auf dem Fahrrad hat einen weißen Trainingsanzug an und fährt im Slalom über beide Fahrstreifen die Gasse entlang. Die Situation ist wahrlich verkehrsberuhigt. Erst als er Motorengeräusch hinter sich vernimmt, verlässt der Weiße die Fahrbahn und flüchtet auf den Gehsteig. Er wartet vor dem Hostel am Eck, das schon wochenlang nicht mehr frequentiert ist, bis das Auto, das sich akustisch angekündigt hatte, vorbeigefahren ist. Eigentlich interessiert mich nicht mehr, ob er wieder auf die Fahrbahn zurückkehren wird, um weiter Kurvenfahren zu üben.
Ich werfe noch einen Blick auf den Nachthimmel. Keine Flugzeuge und trotzdem keine Sterne. Ich schließe das Fenster. Gute Nacht.
Maxa